Feministische Grundlagen
Die folgenden Grundlagen bilden mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung den Hintergrund der Arbeit des FrauenTherapieZentrum – FTZ München e.V. und der FrauenTherapieZentrum – FTZ gemeinnützige GmbH.
Ganzheitliche Sichtweise
Wir gehen aus von einem Verständnis der körperlich-seelisch-geistigen Einheit in Wechselwirkung mit den gesellschaftlichen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Realitäten der Frauen.
Gesellschaftliche Situation und psychische Erkrankung
Psychische Erkrankungen von Frauen stehen häufig in einem engen Zusammenhang mit traumatisierenden Gewalterfahrungen, Trennungs- und Verlusterlebnissen, Überlastungen, Abhängigkeit und Isolation. Schuldgefühle oder Aktualisierung früherer Traumatisierungen lassen Krisen eskalieren.
Die psychosozialen und psychischen Probleme äußern sich bei Frauen oft in Symptomen, passend zu den Rollenerwartungen an sie: Depressionen, Ängste, Schlafstörungen und unspezifische psychosomatische Befindlichkeitsstörungen. Entsprechend ihrer Sozialisation leiden Frauen eher still, ihre Probleme sind unsichtbar und sie neigen zu Suchtformen wie Bulimie, Magersucht und Medikamentenabhängigkeit. Bei anderen Reaktionsformen, wie z. B. sehr aggressivem Verhalten müssen sie Sanktionen gesellschaftlicher Art befürchten.
Auch in der Arzt-Patientin-Beziehung und Krankheitsdiagnostik zeigen sich deutlich Auswirkungen des Geschlechtsrollenstereotyps. Frauen werden häufiger stigmatisiert, psychiatrisiert und medikamentös behandelt. Die Symptome zeigen sich zunächst oft in unspezifischen Befindlichkeitsstörungen, die aber zu Chronifizierung und schwerer Erkrankung führen können. Dazu trägt auch ein rein medizinisches Krankheitsverständnis bei. Durch das Ausblenden lebensgeschichtlicher Hintergründe und Schwierigkeiten von Frauen wird ihnen nicht wirklich Unterstützung gegeben, eine Chronifizierung der Krankheit kann sich als Folge einstellen.
Als Resultat der feministischen Analyse verstehen wir Krankheit als Versuch, widersprüchliche und/oder ausweglos erscheinende Lebensumstände zu bewältigen und sie zu verändern. In den psychosozialen Einrichtungen des FTZ steht die (Wieder-)Herstellung der Handlungsfähigkeit der Frauen, die uns aufsuchen, im Mittelpunkt.
Dies bedeutet:
- Herstellung und Förderung von Unterstützungszusammenhängen, besonders zwischen Frauen
- Veränderung innerer Einstellungen, die Frauen an selbstbestimmtem Handeln hindern
- Bestätigung und Förderung ihrer Kompetenzen zur Auseinandersetzung mit ihrer sozialen Umwelt
- Veränderung realer, belastender Lebensumstände
Die Berücksichtigung der strukturellen, physischen und psychischen Gewalt stellt ein immanentes Merkmal unserer psychosozialen Arbeit dar.
Frauenraum
Frauenraum bedeutet die Erfahrungsmöglichkeit eines Lebens- und Arbeitsraumes, der ausschließlich von Frauen gestaltet ist. Frauen lernen sich neu aufeinander zu beziehen und ihre Kommunikation und Handlungsfähigkeit zu erweitern. Sie lernen eigene Bedürfnisse und Eigenschaften gelten zu lassen ohne die sonst allgegenwärtige Bewertung durch den männlichen Blick.
Frauenraum bedeutet Schutz- und gewaltfreier Raum. Darüber hinaus ist er auch Quelle der Inspiration und formgebende Struktur für andere Formen von Frauenleben und Frauenidentitäten. Hier haben die hilfesuchenden Frauen die Sicherheit, von einer Frau beraten, betreut oder geschult zu werden bzw. sich mit anderen Frauen aussprechen und auseinandersetzen zu können. Dies verringert die Hemmschwelle in vielerlei Hinsicht. Bestimmte frauenspezifische Themen, wie (sexuelle) Gewalterfahrungen, Körperlichkeit, Widersprüche der Frauenrolle, fehlende Ausbildung, berufliche Diskriminierung etc. können hier erfahrungsgemäß leichter bearbeitet werden als in gemischtgeschlechtlichen Einrichtungen.
Die Psychosoziale Arbeit im Frauenraum ermöglicht die Auflösung der geschlechtsstereotypen Rollenzuschreibungen, die Selbstwahrnehmung der Frauen als handelndes Subjekt wird gefördert.
Parteilichkeit
Unsere Werthaltung ist von Parteilichkeit für Frauen geprägt. Wir arbeiten vor dem Hintergrund einer feministischen Analyse unserer Gesellschaft, die die ungleichen Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau herausgearbeitet hat. Wir reflektieren die sich daraus ergebende strukturelle Gewalt gegen Frauen mit ihren Erscheinungsformen und Auswirkungen.
Ressourcenorientierter Ansatz: Stärkung des Selbstheilungspotentials
Wir koordinieren nicht nur soziale und professionelle Ressourcen, sondern setzen in unserer Arbeit an den Fähigkeiten, Potentialen und Interessen der Frau an, statt ausschließlich ihre Defizite zu fokussieren.
Es geht uns besonders um die Stärkung von Ressourcen und Selbstheilungskräften, von unterstützenden Beziehungen und der Fähigkeit zu einer befriedigenden Lebensgestaltung. Ein zentraler Begriff unserer Arbeit ist die (primäre und sekundäre) Prävention.
Emanzipatorischer Ansatz
Wir ermutigen Frauen ihre eigenen Rollenvorstellung bezüglich ihres Erlebens und Verhaltens sowie die ihres Umfeldes/der Gesellschaft zu überprüfen, und neue Lebens- und Arbeitsformen zu erproben. Dazu gehört auch das Einüben von Konfliktfähigkeit, da die Zurückweisung von zugedachtem Rollenverhalten auf Ablehnung und Widerstand beim Umfeld stoßen kann. Selbstwirksamkeit, erweiterte Spielräume und Freiheitsgrade zu erleben und zu nutzen, ist ein wesentliches Ziel unserer Arbeit.
Das Ineinandergreifen von professioneller und Selbsthilfearbeit
Arbeitsansätze der Selbstorganisation und professioneller Beratungs-, Betreuungs-, Therapie- und Schulungsangebote greifen ineinander. Wir fördern die Fähigkeit der Klientinnen zum Selbstmanagement und zur Eigeninitiative, indem wir Frauen in ihrer Selbsthilfekompetenz durch die organisatorische Infrastruktur und durch die Bereitstellung professioneller Methoden unterstützen. Die Unterstützung der Selbsthilfekompetenz ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit.
Kulturdifferenzierter und integrativer Ansatz
Wir möchten kultursensibel auf die Anliegen von Klientinnen mit Migrationshintergrund eingehen. Dafür erweitern wir kontinuierlich die interkulturellen Kompetenzen aller Mitarbeiterinnen und stellen bikulturelle Mitarbeiterinnen ein. Die Vielfalt der Lebensformen und Lebensentwürfe, die unterschiedlichen kulturellen und biografischen Hintergründe sehen wir sowohl bei Klientinnen als auch bei Mitarbeiterinnen als wichtige Ressource, die wir respektieren und schätzen.
Fachliche Kooperation
Wir arbeiten mit anderen psychosozialen Einrichtungen und Fachleuten zusammen und tauschen uns aus. Damit können wir die Hilfen im Einzelfall mit anderen Fachstellen koordinieren, Mehrfachbehandlung ausschließen und die Effizienz der Unterstützung stärken. Die Ergebnisse und Konzeptionen unserer Arbeit tragen wir in andere Institutionen und Dienste hinein.
Frauenvernetzung und Vernetzung mit der kommunalen Infrastruktur
Eine regionale und auch bundesweite Kooperation von Fraueneinrichtungen und frauenspezifisch arbeitenden Fachkolleginnen dient dem Austausch und der Weiterentwicklung von Konzeptionen und Methoden frauenspezifischer Arbeitsansätze. Eine fachspezifische Verengung des Blickfelds wird somit vermieden, und qualitative Verweisungsmöglichkeiten und Weiterbildung sind damit zugänglich. Ebenso wichtig ist uns die vernetzte Kooperation mit stationären und ambulanten Einrichtungen und Diensten in München. Dazu arbeiten wir in zahlreichen Gremien der Fachbasis, auf Träger- und Verbandsebene und der Planung zusammen. Leitende Mitarbeiterinnen sind in Berufs- und Fachverbänden aktiv.
Politisches Engagement
Wir bringen unsere Konzeptionen, die Erfahrungen aus der praktischen Arbeit, sowie die Erkenntnisse aus der Frauenforschung in sozial- und gesundheitspolitische Gremien ein. Wir arbeiten an der Umsetzung von für Frauen relevanten Themen auf politischer Ebene, was sich langfristig bisweilen sogar in Gesetzesänderungen niederschlägt.
Hier soll der Begründungszusammenhang für unsere frauenspezifische Arbeit in Zeiten des Gender Mainstreaming kurz skizziert werden. Auch in Zeiten der Gleichberechtigungsgesetze wird der Unterschied in den Lebenswelten von Frau und Mann nicht ausreichend berücksichtigt. Die Lebenssituationen von Frauen sind nach wie vor von ungleichen gesellschaftlichen Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern und gesellschaftlichen Subgruppen geprägt, die sich zu Ungunsten von Frauen auswirken. Dies zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen z. B.:
- Frauen haben einen ungleichen Zugang zu Ressourcen z. B. berufliche Bildung, Geld, Versorgung, Wohnraum, gesellschaftlicher Einfluss, Seilschaften…
- Bei gleicher Qualifikation werden Frauen geringer entlohnt und arbeiten öfter im Niedriglohnsektor
- Sie sind häufiger als Männer von Arbeitslosigkeit und Verarmung betroffen mit den daraus resultierenden psychischen Belastungen
- Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und Kinderbetreuung sind schwer vereinbar
- Die Aufteilung von Erziehungsaufgaben, Hausarbeit, Reproduktions- und Sorgearbeit ist ungleich und gehen zu Lasten der Frau
- Frauen stehen unter der Doppel- und Dreifachbelastung durch Erwerb und Familie und müssen mit den daraus resultierenden Rollenkonfusionen fertig werden
- Frauen machen die Erfahrung von offener und subtiler körperlicher Gewalt
- Frauen sind nach wie vor von sexualisierter Gewalt betroffen und bedroht
- Sexismus (Benachteiligung aufgrund von Geschlecht) und Geschlechtsstereotypen sind unverändert wirksam, z. B. bestehen nach wie vor Zuschreibungen von geschlechtstypischen Eigenschaften und Rollen für Jungen und Mädchen
- Aufgrund ihrer Sozialisation entwickeln Frauen Verhaltensmuster, die funktional für ihre gesellschaftlichen Aufgaben sind; z. B. lernen sie eher Strategien zu intrapsychischer statt handelnd – offensiver Konfliktbewältigung
- Die gesellschaftliche Frauenfeindlichkeit und Frauenverachtung werden von den Frauen verinnerlicht
- Die Gesellschaft wertet Frauenzusammenschlüsse und Liebe zwischen Frauen ab